Dunno if this was posted already. Here's a review of the Rhein-Neckar-Zeitung on the Frankfurt concert:
Die Gigantomanie frisst ihre Kinder
Wie die Rolling Stones in der Frankfurter CommerzbankArena vor halb vollem Haus ihre eigene Legende zertrümmern
Von Klaus Welzel
Ein Zufall, dass es die "größte Rock'n'Roll-Band der Welt" überhaupt gibt. Hätte der exzellente Bluesgitarrist Alexis Korner nicht in einer Herbstnacht des Jahres 1963 eine Verpflichtung beim BBC-Fernsehen gehabt: Die Herren Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts und Brian Jones hätten nie die Gelegenheit ergreifen können, im legendären Londoner Marquee Club als Ersatz für Alexis Korners "Blues Incorporated" aufzutreten. Das war die Geburtsstunde der Rolling Stones. Vor 44 Jahren.
Der junge Jagger (damals 20) war unter Vertrag bei den "Blues Incorporated". Er nutzte die Chance seines Lebens. So wie er später alle Chancen nutzen sollte. Im Musikgeschäft. Bei den Frauen. Acht Kinder hat er gezeugt. Ungefähr. Denn so genau weiß man das bei diesem superpotenten Selbstdarsteller ja nicht. Mick Jagger ist das "Rock'n'Roll-Animal" schlechthin. Seit 1964 füllt seine Band ganze Stadien. Spielte allein im letzten Jahr mit dem ersten Teil der "Bigger Bang-Tour" 100 Millionen Dollar ein.
Von Tournee zu Tournee wurde der Tross immer größer, die Show immer gigantischer. Ungefähr 70 Meter Laufsteg dürften es sein, die da an die Längsfront der Frankfurter CommerzbankArena gebaut wurden. Natürlich ein riesiger Bühnenhintergrund, bestehend aus LCD-Screens, gestylten Boxen, Gittern, Rampen - ach, einfach alles, was zu einer modernen Rock'n'Roll-Kulisse dazugehört. Die rund 15 Musiker werden später viel Platz haben. Und damit Bläser und Go-Go-Girls auch ihren Standort finden, sind deren Plätze auf dem Bühnenboden schwarz markiert. Man könnte sich ja verlaufen. Das passiert auch später. Aber just auf der kleinen rollbaren Bühne, die die Arbeiter in die Mitte der Arena schieben, während Jagger, Richards und Watts - also die Ur-Stones - nebst Ron Wood (der viel besser Gitarre spielen kann als Keith Richards) und Bassist Daryl Jones. Da wartet Jagger auf den nächsten Einsatz zu "Respectable". Doch der kommt nicht. Beinahe orientierungslos geht er zum Schlagzeug von Charlie Watts, trinkt aus einer Wasserflasche und verpasst den Songanfang. Das wäre dem fast 64-Jährigen früher nie passiert.
Überhaupt das Alter: Jagger sieht immer noch reichlich dynamisch aus, hampelt wie eh und je - und stellt das Herz der Band dar. Nur beginnt auch bei ihm allmählich die Johannes-Heestersrisierung: Wow, bei dem Alter... Die gesamte Dynamik des Abends ist auf Jagger konzentriert. Auch Watts (66) agiert wie immer: Im Hintergrund trommelt er manchmal daneben, sitzt aber stoisch-elegant in der Schießbude. Der Gentleman-Stone. Und Ron Wood? Über ihn gibt es ja den kürzesten Stones-Witz der Welt: "Ron Wood geht an einer Bar vorbei." Sieht man. Der 60-Jährige gibt den ältlichen Kumpel von um die Ecke. Keith Richards (63) dagegen hat sich durch jahrzehntelangen Alkohol- und Drogenmissbrauch zum Katastrophen-Szenario entwickelt. Seit neustem trägt er einen Bob-Dylan-Lippenbart (dafür aber das Hemd geschlossen). Gitarre spielt er weitgehend nicht. Seine Einsätze verpatzt er regelmäßig - der Gesang während der zwei "Solo-Nummern" kommt ganz sicher vom Band. Gleichwohl erhält Richards den mit Abstand meisten Applaus.
Wobei sich die Frage stellt: Wofür soll man klatschen an diesem Abend? Für den Sound schon mal nicht. Denn die CommerzbankArena ist absolut kein Ort, um dort Musik zu machen. Der Klang wird an den Rängen zermatscht und drei-, viermal auf die Zuschauer zurückgeworfen. An einigen Stellen des Stadions hört man schlicht - nichts.
Viele Fans scheinen das geahnt zu haben. Denn statt der ursprünglich erwarteten 35.000 kamen gerade einmal 20.000. Die hinterließen denn auch reichlich Lücken. Und das, obwohl der Innenraum bestuhlt war (eine merkwürdige Idee, die wohl dem Gedanken geschuldet ist, dass die Arena so einen volleren Eindruck macht). Natürlich sind die happigen Ticketpreise mit Schuld am Leerstand. Unter 82 Euro ging anfangs gar nichts. Kurz vor Schluss gab es noch Stehplatzkarten (in der Tribüne!) für 59 Euro. Andererseits ziehen mittlerweile fast alle Bands ihre Fans beim Kartenpreis über den Tisch. Also: Was war's?
Ein wesentlicher Grund dürfte sein, dass die Rolling Stones vor fast zehn Jahren mit "Bridges to Babylon" ihre letzte anständige Platte vorgelegt haben. Und die "Bigger-Bang-Show“ haben eben auch im letzten Jahr viele hartgesottene Stones-Fans schon gesehen. Man hätte vermuten können, dass die Band dem schwindenden Interesse eine fetzige Show entgegensetzt. Quasi als Beweis, dass sie ihre rund 100 Euro wert sind. Doch das, was in Frankfurt zu sehen war, gleicht dem Niedergang eines Dinosauriers: Zu groß, zu wenig (musikalisches) Hirn. Fast bekommt man Mitleid. Gleichwohl war die Auswahl der Songs gerade für Stones-Verhältnisse reichlich ambitioniert. In einem kleinen Club wäre das sicherlich ein tolles Konzert geworden. Aber nicht auf dieser riesigen Bühne, in diesem furchtbaren Stadion rund.
Doch bei aller Kritik: Nicht auszudenken, wenn Mick Jagger eines Tages einen BBC-Termin wahrnehmen würde - und eine junge, talentierte, wilde, ambitionierte Band würde statt der Stones das Rock'n'Roll-Tier raushängen. Die Band wäre weg, verschwunden, abgetreten. So wird es wohl kommen. Und dann wird es heißen: "Opa was a Rolling Stone".
P.S.: So eben habe ich mir bei "YouTube" noch einmal "Respectable" angeschaut. In einer Live-Version von 1978. Das Frankfurt-Konzert war schon eine Zumutung. Bei dem Vergleich.