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Mick Jagger - Der gemachte Rebell?London, 17. März 1968: Zehntausende demonstrieren gegen den Vietnamkrieg. Einer von ihnen: Mick Jagger, Idol der 68er. Als die Demonstranten Jagger erkennen, wollen sie, dass er sie anführt. Doch der Rockstar zögert. Warum? Ist Jagger gar nicht der Rebell, für den ihn alle halten?
Für die Jugend ein Held, für die Älteren der Untergang von Anstand und Moral. Mick Jagger ist der Bürgerschreck der 60er-Jahre. Dabei kommt er eigentlich aus gutem Hause. Sein erster Fernsehauftritt: „Am besten benutzt man einfache Turnschuhe wie beim Tennis, so wie Michael sie hier trägt.“ Der 15-jährige Jagger in einer Sportsendung, ganz brav, von Rebellion keine Spur, ein Vorzeige-Sohn.
Geboren 1943 wächst er behütet in Dartford bei London auf. Michael Jagger, genannt 'Mike', ist ein typisches Kind der Mittelklasse: gute Noten und Mitglied im Kirchenchor. Erst allmählich beginnt er sich abzuheben. Philip Norman: „Andere Jungen spielten Cricket, Rugby oder Fußball in der Schule. Mick spielte Basketball, weil das cooler war. Es war amerikanischer. Er lief mit Blues-Alben unter dem Arm herum, denn das war cooler als Elvis Presley oder Eddie Cochran.“ Blues und Rock’n'Roll fesseln Mike. Der Rhythmus ist neu, die Sänger sind cool. Ihre Texte brechen mit Tabus, erzählen von Sex, Glücksspiel und verbotener Liebe. Fritz Egner: „Das war für uns eine Musik von einem anderen Planeten. Manche denken, in England war das alles schon bekannt. Es war auch dort nicht bekannt. Die dortigen Radiosender von der BBC spielten diese Musik nicht. So mussten sich die Musiker in London und Umgebung eigentlich aus dem Radio aus Deutschland bedienen, von AFN, 'American Forces Network'. Die spielten Blues.“
Die meisten aus Jaggers Generation müssen sich erst mal mit der Musik ihrer Eltern begnügen. Ende der 50er-Jahre aber begehrt die Jugend auf. Neue Mode, neuer Lifestyle. Rocker und Mods zeigen selbstbewusst, dass sie anders sein wollen. Dr. Bodo Mrozek: „Die Jugend formiert sich Staaten-übergreifend als eine Art selbstgekleidete Kultur mit eigenen Konsumansprüchen. Jugendliche haben jetzt Taschengeld-Budgets. Die Arbeitszeiten verringern sich. Der Samstag wird irgendwann arbeitsfrei. So entsteht eine eigene Freizeitkultur. Das passiert aber nicht ohne Reibungen. Es kommt zu Auseinandersetzungen in den Kinos. Es gibt die großen ‚Cinema Riots‘ um '56, ’57, wo Jugendliche nur tanzen wollen in den Kinosälen, weil Musikfilme laufen, aber die Säle sind dafür nicht gemacht. Die Polizei unterbindet das. Und in der Zeit hat Mick Jagger seine ersten musikalischen Einflüsse.“
In der Schule gründet Mike eine Bluesband. Doch richtige Rebellion sieht anders aus. Nach dem Abschluss siegt die Vernunft. Mit einem Stipendium in der Tasche beginnt er 1961ein Wirtschaftsstudium an der London School of Economics, einer Eliteuniversität. Seine wahre Leidenschaft aber bleibt die Musik. Am Abend zieht es den Studenten in die Musikklubs von London. Sein Traum: einmal selbst auf der Bühne stehen. Doch dafür das wertvolle Studium hinschmeißen? Für Jagger ein zu großes Risiko.
An einem Morgen im Oktober 1961 jedoch wird alles anders. Auf dem Bahnsteig von Dartford wartet Mike auf den Zug nach London. Unter dem Arm trägt er zwei seiner Lieblingsplatten. Plötzlich steht ein alter Schulkamerad vor ihm: Keith Richards. Eine Begegnung mit Folgen - bis heute. Philip Norman: „Mick hatte herausgefunden, dass man amerikanischen Plattenfirmen schreiben konnte, um an Aufnahmen von afroamerikanischen Künstlern heranzukommen, wie The King oder Elmo James. Die kamen dann per Post. Diese begehrten Scheiben hatte Mick unterm Arm, und so kamen Keith und er ins Gespräch.“
Zwei gegensätzliche Typen: Mike, der brave Student, und Keith, das Kind aus der Arbeiterklasse. Doch eines haben sie gemeinsam. Philip Norman: „Das große Band zwischen ihnen war die Liebe zu dieser Musik. Das bedeutete unendlich viel, denn man fühlte sich damals als Teil einer bekämpften Minderheit. Die Erwachsenenwelt stand dieser Musik sehr feindselig gegenüber und sie waren wie eine Art Widerstandsbewegung.“ Ein Treffen, das Musikgeschichte schreibt. Jagger trifft sich mit Londoner Freunden, um Blues und Rock’n'Roll zu spielen, und schlägt Richards als Gitarristen vor. Ihre Band nennen sie ‚Little Boy Blue and the Blue Boys‘.
Die Erwartungen sind groß, doch noch fehlt etwas Entscheidendes. Philip Norman: „Mick und Keith waren mit den ’Little Boy Blue and the Blue Boys’ nicht sonderlich erfolgreich. Aber ihr Weg führte sie zu einem Klub in Ealing, einem heruntergekommenen Vorort von London. Hier trafen sie Brian Jones. Er hat die Rolling Stones gegründet. Und der Bandname stammt von dem Muddy-Waters-Song: ‚Rollin' Stone’.“
Im Juli '62 steht Jagger vor seinem ersten Auftritt als Stones-Sänger im angesagten Londoner Marquee Club. Wer hier gut ankommt, darf auf eine steile Karriere hoffen. Wird es der 18-jährige Mike schaffen? Philip Norman: „Niemand dachte damals ernsthaft, er könnte ein erfolgreicher Musiker werden. Denn er spielte kein Instrument. Er hat sich einfach hingestellt und gesungen. Das war damals so ziemlich das Unverschämteste, was man in einer Pop-Band machen konnte.“ Der Applaus im Marquee Club ist an diesem Abend dürftig - den Blues-Fans klingen die Stones zu sehr nach Rock’n'Roll. Der große Durchbruch bleibt aus. Chance vertan? In der Edith Grove in Chelsea gründen Mike, Keith und Brian eine WG. Während die Bandkollegen ausschlafen und tagsüber Gitarre üben, geht Jagger jeden Morgen brav zur Uni.
Philip Norman: „Damals war er noch nicht Mick Jagger. Er war Mike Jagger. Mike ist ein stinknormaler Name in England, so normal wie Fish and Chips oder Brot und Käse. Aber Mick Jagger wurde von jemandem erfunden: dem brillanten Werbefachmann Andrew Loog Oldham.“ Der 19-jährige Oldham bietet sich als Manager an. Zuvor hat er für die PR-Firma einer anderen Band gearbeitet: The Beatles. Die vier Pilzköpfe aus Liverpool lösen 1963 ein musikalisches Erdbeben aus. Millionen Fans verfallen der ‚Beatlemania‘ – auch dank geschicktem Marketing. Die ‚Fab Four‘ machen auf nett, gut erzogen und familientauglich. Da fällt Oldham etwas auf. Philip Norman: „Er sah, dass auch Eltern und Großeltern von den Beatles begeistert waren. Das ärgerte die jungen Fans, weil ihnen die Beatles weggenommen wurden. Und so erfand Oldham - mit absolutem Scharfsinn - die Anti-Beatles.“
Beim ersten Foto-Shooting hat Oldham nur einen Wunsch: Die Stones sollen gemein aussehen. Besonders Frontmann Jagger rät er zum Image-Wechsel. Bürgertum und studentischer Fleiß passen nicht zu den neuen Bad Boys. Philip Norman: „Er sagte zu Jagger: ‚Wenn du vorgibst, böse zu sein, wirst du reich werden.‘ Und Mick sagte: ‚Okay.‘ Seitdem macht er nichts anderes - er gibt vor, böse zu sein.“ Aus Mike wird Mick: ein böser Junge, der Blues im Rock'n'Roll-Gewand singt. Das kommt an - besonders bei den Jüngeren. Anita Harris: „Mick Jagger kommt und stellt die Welt auf den Kopf.“ Jaggers Auftritte sind aggressiv und sinnlich, seine Bühnen-Performance provokant. Ein Image, das zieht.
Anita Harris: „Heute würde man seine Bewegungen mit Michael Jackson vergleichen. So etwas hatte man bis dahin nicht gesehen.“ Philip Norman: „Man darf nicht vergessen, dass er damals nicht als gutaussehend galt. Die Leute sagten, sein Kopf sei zu groß, seine Lippen zu dick und er sei eher mickrig. Das entsprach überhaupt nicht dem damaligen Schönheitsideal. Als Frontmann der Stones hat er das neu definiert.“ Gestik, Tanz, Mimik. Jagger singt mit dem ganzen Körper, ungehemmt und sexuell aufgeladen. Vor allem sein Mund wird zum Markenzeichen. Die Stones sind so ganz anders als die damals noch braven Beatles.
Jagger provoziert, absichtlich. Und das Publikum geht mit. Eine neue Erfahrung für den jungen Mann. Mick Jagger: „Es ist ein seltsames Gefühl, auf der Bühne zu stehen und diese Energie vom Publikum zu spüren. Ich fühle sie, aber ich verstehe nicht, was sie von mir als Künstler oder als Person wollen. Ich stehe da und weiß nicht, was sie mir sagen wollen und was ich erwidern soll.“ Mit 20 Jahren steht Jagger auf den großen Bühnen. Die Stones verschmelzen Blues und Rock’n'Roll zu ihrem eigenen, unverwechselbaren Sound.
Mit großem Erfolg. Ein Leben als Rockstar: kein Traum mehr, sondern greifbar nahe. Jagger wagt den letzten Schritt: Er gibt sein Studium auf und spielt ab jetzt den Rock-Rebellen. Seine gute Herkunft bleibt dabei unerwähnt - schlecht fürs Geschäft. Dr. Bodo Mrozek: „Man versucht deswegen vom Management her eigentlich, diese gehobenere Herkunft von Mick Jagger zu verschleiern und inszeniert die Stones mit Absicht als Arbeiterkinder, die von ganz unten sich hochgearbeitet haben auf die Bühnen.“ Bei jeder Gelegenheit präsentiert er sich von nun an als Tabu-Brecher. Ein Image mit Spaßpotenzial. Schon Kleinigkeiten sorgen für Schlagzeilen. Philip Norman: „Es gab schon einen riesigen Aufschrei, wenn die Stones ohne Krawatte im Hotel auftauchten. Für die Presse waren sie unverschämte, schmutzige Langhaarige. Dabei waren das die saubersten jungen Männer, die man sich vorstellen kann. Vor allem Jagger ist unglaublich hygienisch. Doch ihr Manager pflanzte der Presse die Vorstellung ein, sie seien Neandertaler.“
Böse Buben ganz privat. Bald touren die Stones durchs ganze Land. Doch die Jungs haben ein Problem: Sie spielen hauptsächlich Cover-Songs. Damals nicht ungewöhnlich, doch für den nächsten Karriereschritt brauchen sie eigene Lieder. Philip Norman: „Brian, anfangs noch der Star der Band, konnte keine Songs schreiben. Mick und Keith aber schon. Oldham hat die beiden in der Küche eingesperrt und gesagt: ‚Ich lasse euch erst raus, wenn ihr einen Song habt.‘ So begann die Partnerschaft von Jagger und Richards als Songschreiber.“ Die beiden ergänzen sich perfekt: Mick schreibt die Texte und Keith die Musik. Das schillernde Gespann bekommt den Spitznamen: die ‚Glimmer Twins‘. Ihre Songs schlagen ein wie eine Bombe. In den kommenden Jahrzehnten werden sie zu einem der erfolgreichsten Songwriter-Duos der Musikgeschichte.
Reinhold Mack hat in München zwei Alben mit den Stones aufgenommen und die beiden bei ihrer Arbeit beobachtet. Reinhold Mack: „Zwischen den beiden geht's eigentlich ganz gut, dass Keith meistens ein Riff oder irgendwas hat, was in seiner Einfachheit bestechend ist. Also nehmen wir mal ‚Start Me Up‘ oder so was - das ist genial. Ein Ton und du weißt, was es ist. Alles, was mehr Lied ist und nicht so arg auf Riff basiert, ist eigentlich schon mehr zum Großteil von Mick.“ Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, die auf einem einfachen Prinzip basiert. Mick Jagger: „Du musst deine Ideen zum Klingen bringen - und er seine. Unsere beliebtesten Songs haben wir wirklich gemeinsam geschrieben. Satisfaction zum Beispiel.“ Satisfaction - damit schafft Jagger 1965 den endgültigen Durchbruch.
Prof. Barbara Hornberger: „Die Stones haben unser musikalisches Leben sicher geprägt, weil Titel wie ‚I Can't Get No Satisfaction‘ natürlich eine Signalwirkung hatte für eine Jugendkultur in der Zeit. Weil sie wild waren, weil sie mit ihnen sich etwas verbunden hat, was für Jugendliche in der ganzen westlichen Welt mindestens ein Versprechen war. Ein Versprechen, dass das Leben auch anders sein kann, als die Eltern das behaupten.“ Die Botschaft des Songs kommt an. Eine Hymne auf Freiheit, Sex und Unabhängigkeit. Jagger singt der Jugend aus der Seele.
Fritz Egner: „Wir kamen ja alle aus einem verklemmten Elternhaus, auch noch mit den Erinnerungen an den Krieg belastet und einfach unglücklich im Großen und Ganzen, obwohl es langsam bergauf ging. Aber es war nicht liberal. Es war alles formatiert von der Gesellschaft her, und da wollten wir ausbrechen.“ Dafür bieten Stones-Konzerte die perfekte Bühne. Randale gegen den Frust - für Presse und Sittenwächter sind die Anstifter klar: Jagger und seine Band.
Philip Norman: „Die Stones hatten auch viele männliche Fans, und die wollten einfach nur den Saal auseinandernehmen. Ein Journalist schrieb einmal: ‚Die Beatles wollen deine Hand halten, aber die Stones wollen deine Stadt niederbrennen.’ Und im Zentrum dieses zerstörerischen Hurricanes stand Jagger, was überhaupt nicht seinem echten Charakter entsprach.“ Der echte Jagger ist anders als sein Ruf. Das zeigt sich auch bei der Arbeit im Studio. Reinhold Mack: „Mick macht sich zum Beispiel die Arbeit, alles, was gefilmt und aufgenommen wird, schaut er sich alles durch und macht sich seine Notizen: ‚Was ist gut? Was kann man benutzen? Was sollten wir vielleicht eher lassen?’ Also, er ist ein fleißiger Schüler.“
Auch im Privatleben ist Mick weit entfernt vom Rebellen. Schon vor seinem Durchbruch verlobt er sich mit dem Model Chrissie Shrimpton. Ist er auf Tournee, ruft er sie ständig an und schreibt zahllose Briefe. Als er doch einmal fremdgeht und sie es erfährt, ist er am Boden zerstört. „Ich sehe ihn noch vor mir. Wie er weinend auf dem Boden lag und meine Füße von seinen Tränen nass wurden, weil ich gedroht hatte, ihn zu verlassen.“ - gibt Chrissie später zu Protokoll. Diese Seite von Jagger hält das Management lieber verborgen. Entsprechend sind die Erwartungen bei der ersten Deutschland-Tour. Ein Reporter: „Ein Riesenaufgebot von Journalisten, Film-, Funk- und Fotoreportern wartete heute am Nachmittag das Eintreffen der Rolling Stones auf dem Flughafen Tegel. Aber es blieb - entgegen manchen Befürchtungen - bürgerlich ruhig und gesittet, als die fünf Londoner Beatband-Barden die Gangway hinunterschritten und in bereitgestellten Pkws Platz nahmen.“ Die Jugendzeitschrift ‚Bravo‘ wirbt Mick Jagger als Frontmann der härtesten Band der Welt.
Dr. Bodo Mrozek: „Dem Konzert voraus geht eine skandalisierende Berichterstattung in der Boulevardpresse, die eigentlich schon in so einer ‚Self-fulfilling Prophecy‘ ankündigt: ‚Die Stones sind gekommen, um die Waldbühne zu zerlegen. Es wird Rabatz geben, es wird Krawall geben’.“
Werden die Stones ihrem Ruf gerecht? Das Konzert auf der Berliner Waldbühne droht schon nach dem dritten Song zu eskalieren. Dr. Bodo Mrozek: „Als die ersten Bänke splittern, begreifen die Fans, dass man das ja auch mit Absicht herbeiführen kann, und es mischen sich Begeisterung für Zugaben und Wut über den kurzen Auftritt in einem infernalischen Lärmkonzert, wie es die Zeitgenossen beschreiben.“ Die Stones fürchten um ihre Sicherheit. Nach gut 20 Minuten geht das Licht aus. Jetzt sind die Fans nicht mehr zu halten.
Dr. Bodo Mrozek: „Heulende Polizeisirenen, Böller, die Fans mitgebracht haben, weil es noch keine Einlasskontrollen gab, wo Leibesvisitationen stattfanden. Es sind noch keine Pappbecher ausgegeben, sondern Flaschen können als Wurfgeschosse eingesetzt werden. Und es kommt zum totalen Chaos.“ Das Ergebnis: 85 Festnahmen und fast 100 Verletzte. Im Interview distanziert sich Jagger von den Randalierern. Mick Jagger: „Sie machen das zu ihrem Vergnügen, und um sich mit der Polizei zu prügeln, der sie zahlenmäßig überlegen waren. In Berlin haben sie die Polizei einfach zusammengeschlagen, nur um ihre Stärke zu zeigen. Und als Ausdruck ihrer Unzufriedenheit mit irgendwas.“ Seine Stimme bekommt jenseits der Bühne immer mehr Gewicht.
Jagger - ein Sprachrohr der Jugend? Fritz Egner: „Da wurde eine Gesellschaftsbewegung in Gang gesetzt, die dann natürlich auch Auswüchse hatte. Und die Musik selber wurde dafür verantwortlich gemacht, dass die Leute aggressiv werden. Das war natürlich nicht unbedingt das, sondern es war eine Zeit, in der ohnehin eine neue, rebellischere Generation auf den Plan trat. Und da war die Musik der Stones natürlich der perfekte Sound.“
Rassentrennung, Sexualmoral, Vietnamkrieg. Die junge Generation stellt vieles infrage und ist bereit, dafür zu kämpfen. Viele sehen Musiker wie Mick Jagger als Antreiber der Proteste. Nicht nur Rockstar, sondern auch Staatsfeind? Philip Norman: „Die antiautoritäre Haltung der Stones und ihre Respektlosigkeit gegenüber dem Establishment führten dazu, dass man sie stoppen wollte. Vor allem ihre Tourneen durch die USA.“ Für Sittenwächter sind die Stones mitverantwortlich für den angeblichen Verfall der Jugend durch Drogen, Sex und Gewalt.
Philip Norman: „Musiker haben schon immer Drogen wie Marihuana genommen. Aber dann kam diese neue künstliche Droge, LSD. Die konnte man an bestimmten Orten in London kaufen. Anfangs sogar legal. Doch Jagger war sehr misstrauisch und wollte auf keinen Fall irgendwelche Polizeiaktionen gegen die Stones riskieren.“ Während die angeblich so braven Beatles öffentlich zugeben, LSD zu nehmen, hält sich Jagger zurück. Doch die Versuchung scheint groß. Im Februar ’67 verbringen Jagger und Richards ein Wochenende mit Freunden auf dem Land. Ein anonymer Anrufer meldet der Polizei eine zügellose Party. Angeblich sind auch Drogen im Spiel. Die Polizei stürmt das Anwesen. Philip Norman: „Mick sollte an diesem Wochenende zum ersten Mal LSD probieren. Aus irgendeinem Grund ignorierte die Polizei aber das LSD und fand stattdessen vier Amphetamin-Tabletten gegen Reisekrankheit, die in Großbritannien illegal waren. Die gehörten nicht Mick, sondern seiner neuen Freundin Marianne Faithfull. Doch er nahm die Schuld auf sich und wurde verhaftet. Das ist die unerwartete Seite von Mick: der englische Gentleman.“
Öffentlichkeitswirksam werden Jagger und Richards abgeführt. Ahnt er, wer wirklich hinter seiner Verhaftung steckt? Der Presse schenkt Mick ein Lächeln. Doch er weiß: Ein hartes Urteil kann das Karriere-Aus bedeuten. Der Prozess wird zum Medienspektakel. Die meisten rechnen nur mit einer Geldstrafe. Dann der Schock: drei Monate Gefängnis ohne Bewährung. Will man an den Stones ein Exempel statuieren? Philip Norman: „Man hat die Stones beschuldigt, junge Leute zu Drogen zu verführen und kein Verantwortungsgefühl zu haben. In Amerika noch mehr als in Europa. Und tatsächlich steckte hinter der Verhaftung eine Verschwörung des britischen Geheimdiensts mit dem FBI, deren Informant Jagger das LSD gab. Nur die örtliche Polizei hat es nicht kapiert und sie wegen dieser geringfügigen Vergehen verhaftet, für die sie trotzdem ins Gefängnis gehen mussten.“
Vom Bürgerschreck zum Sündenbock. Erst nach heftigen Protesten setzt das Gericht die Strafe doch noch zur Bewährung aus. Jagger und Richards kommen frei. Nur wenige Stunden später tritt Jagger vor die Presse. Mick Jagger: „Wenn man alleine ist, in einem Privathaus, und niemandem Schaden zufügt, versteh’ ich nicht, warum man etwas Falsches getan haben soll. Das ist, als würde man sich die Pulsadern aufschneiden. Das ist vielleicht ein Verbrechen gegen sich selbst, aber nicht gegen die Gesellschaft.“ Philip Norman: „Es gab einen Moment, in dem er riesigen Einfluss hätte ausüben können. Man hat ihn im Fernsehen gefragt: ‚Was wollt ihr jungen Leute?‘ Und er antwortete nur: ‚Ich will Spaß haben.‘ Das ganze Land hat darauf gewartet, dass er eine Art Anleitung gibt, was die Jugend braucht und will, aber er hat es einfach nicht getan.“
1968. Der Vietnamkrieg ist auf dem Höhepunkt. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße, unterstützt durch prominente Künstler. Auch Jagger soll Farbe bekennen. Dr. Bodo Mrozek: „Es gab immer wieder diese Anwürfe, auch zu sagen, die Rockmusiker hätten ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Und gerade die Stones sollten sich jetzt mal politisch äußern. Auch Mick Jagger wurde da erwartet, quasi als Heiland einer neuen rebellischen protestierenden Kultur.“ 17. März 1968. Die bis dahin größte Anti-Kriegs-Demonstration Englands zieht durch London. Die Organisatoren bitten Jagger im Voraus, den Protestzug anzuführen. Doch der redet sich heraus, ihm sei nicht danach. Trotzdem geht er hin und beobachtet das Geschehen. Demonstranten erkennen ihn und fordern, sich an die Spitze der Demo zu stellen.
Jetzt entscheidet sich: Wird Jagger wirklich zum Rebellen? Oder singt er nur darüber? Als die Situation eskaliert, flüchtet er. Den letzten Schritt wagt er nicht. Inspiriert von den Demonstrationen schreibt er wenig später den Song ‚Street Fighting Man‘ - Straßenkämpfer. Er wird zur Hymne der Protestbewegung. Auch wenn er im wahren Leben lieber kneift statt zu kämpfen, bleibt das Image des Polit-Rebellen an ihm haften. Dr. Bodo Mrozek: „Es mag auch eine kluge Entscheidung sein, sich nicht auf die Seite einer radikalen Minderheit zu stellen, sondern im Sinne auch des Plattenmanagements zu sagen: ‚Ich bleibe hier eher diffus in meinen Ansichten‘.“ Jagger setzt weiter auf das Bad-Boy-Image.
Doch Ende der 60er hat die Band Probleme. Durch Missmanagement ist das Geld knapp. Und Bandgründer Brian Jones ist drogensüchtig. Im Juni ’69 muss er die Band verlassen. Kurz darauf ertrinkt Jones in seinem Pool. Die Todes-Umstände sind bis heute ungeklärt. Mick Jagger ist geschockt. Fritz Egner: „Er ist sehr vorsichtig, wenn er über Brian Jones spricht, weil das, glaub ich, noch eine offene Wunde ist bis heute. So ein dramatischer Verlust, und vor allem, wie es dann auch passiert ist. Das bleibt hängen, glaube ich, das ganze Leben lang.“ Nur zwei Tage nach Brians Tod steht Jagger im Londoner Hyde Park auf der Bühne. Er verliest ein Gedicht im Andenken an seinen Bandkollegen und lässt Schmetterlinge fliegen. Die Zukunft der Rolling Stones ist ungewiss.
Philip Norman: „Zu dieser Zeit waren die Stones die instabilste Band von allen. Zwei von ihnen mussten ins Gefängnis, einer, Brian Jones, wurde tot in seinem Pool gefunden. Und sie waren Ende der 60er-Jahre pleite und mussten ins Steuerexil. Das klingt nicht nach einer Band, die es noch lange geben wird, geschweige denn 60 Jahre später.“ Anfang der 70er entsteht eine neue Spezies: Rock-Superstars mit Prunk und Glamour. Idole für ein weltweites Massenpublikum. Jagger spürt: Will er im Musikbusiness überleben, muss er sich verändern. Das Image des Rebellen, das ihm Erfolg bescherte, wird nun zur Last.
Ein Interviewer: „Was hat sich verändert in der Art, wie Sie oder Ihre Musik auf unsere Zeit reagieren?“ Mick Jagger: „Man kann doch nicht immer dasselbe weitermachen, immer 20 bleiben und immer rebellisch. Man wird doch hoffentlich erwachsener.“ Der Interviewer: „Aber für die Jugendlichen waren Sie doch mal der Superheld, der die Hymnen der Jugendrevolte gesungen hat.“ Mick Jagger: „Das haben die Massenblätter geschrieben. Ich habe nie daran geglaubt.“ Interviewer: „Und auch nie gewollt?“ Mick Jagger: „All das ist doch eine Erfindung der Medien. Die drehen alles so, wie sie es gerade brauchen.“
„Oh, I know that tongue …“ Neues Logo, neues Management, neue Plattenfirma. Jagger und die Stones setzen auf Veränderung. „Maybe it's only Rock’n'Roll but I like it.“ Keine Rebellion mehr, nur noch Rock’n'Roll. Philip Norman: „Mick wurde all diese Jahre für einen großen sozialen Umstürzler gehalten. Aber das ist ein Witz. Er war immer viel mehr daran interessiert, berühmte Leute aus der Gesellschaft und dem Adel kennenzulernen. Das hat ihn wirklich angetörnt.“
Was ihn noch antörnt, sind Frauen. Mit zunehmendem Erfolg wird aus dem englischen Gentleman ein Egomane. Schon '66 trennt sich Jagger von Chrissie Shrimpton. Heimlich lässt er das Schloss zum gemeinsamen Haus austauschen. Nicht die feine englische Art. Seine Neue ist die Aristokraten-Tochter Marianne Faithfull. Zusammen nehmen sie Drogen. Doch erst als die Beziehung endet, wird Marianne stark abhängig. Die deutsche Schauspielerin Anita Pallenberg ist eigentlich Keith Richards Freundin. Mit Jagger steht sie für den Film 'Performance' vor der Kamera. Philip Norman: „Sie sollten im Film Sex haben und Keith tat so, als sei ihm das egal. Was nicht stimmte. Er saß draußen im Auto und hat auf seinen Fingernägeln gekaut. Der Legende nach haben es Mick und Anita tatsächlich getrieben.“
Jaggers erste Hochzeit wird zum Spektakel. 1971 verspricht er dem Model Bianca Macías die ewige Treue. Die ist gerade im vierten Monat schwanger. Treue? Macías sagt später dazu: "Meine Ehe endete am Hochzeitstag.“ Reinhold Mack: „Er war sehr schwanzgesteuert, das muss man schon so sagen. Also dafür hat er schon Fünfe gerade sein lassen. Wenn es da eine Möglichkeit gab, sich zu vermehren oder zu verewigen, oder sonst was, wie auch immer man das sagen will.“ Um das deutsche Model Uschi Obermaier entbrennt an einem Abend in München 1973 ein regelrechter Wettstreit mit Keith Richards. Weil am nächsten Tag Jaggers Ehefrau kommt, gibt Richards nach. Obermaier verbringt die Nacht mit Jagger. Für ihn sind Frauen oft nur Trophäen. Der Legende nach soll er mit über 4000 geschlafen haben, darunter auch Prinzessin Margaret, die Schwester der Queen.
Ehefrau Nummer zwei: das texanische Model Jerry Hall. Mit ihr hat Jagger seine längste Beziehung. Gemeinsam bekommen sie vier Kinder. Nach außen eine intakte Familie. Doch Jaggers zahllose Affären und ein uneheliches Kind lassen auch diese Ehe scheitern. Philip Norman: „Wie er Frauen behandelt, ist abscheulich. Im Song ‚Stray Cat Blues‘ singt er: ‚Ich kann sehen, dass du 15 Jahre alt bist. Ich will deinen Ausweis nicht.‘ Niemand hat das bisher erwähnt, aber es gab zahlreiche Untersuchungen über die zerstörerische Art der Popkultur gegenüber jungen Frauen. Und die Stones standen absolut dafür.“
Streit um Frauen treiben Anfang der 80er auch einen Keil zwischen Jagger und Keith Richards. Dazu sorgt Micks Führungsanspruch immer häufiger für böses Blut bei den Stones. Reinhold Mack: „Die Band selber, also die beiden sogenannten Glimmer Twins, die kamen dann auch immer nacheinander, weil - ich weiß nicht, vielleicht hatten sie Streit oder Stress. Es wurde immer angerufen: ‚Wer ist im Studio?‘ oder ‚Ist schon einer da?‘ Immer der eine oder der andere. ‚Ja, dann komm ich später.‘ Ja, Gott, ich will Ehepaare nicht schlecht machen, aber wie ein altes Ehepaar eben.“ 1985 veröffentlicht Jagger sein erstes Soloalbum. Er tritt jetzt lieber mit anderen Künstlern auf. Die Stones nennt er eine Rentnerband. Trotzdem spielt er bei Solo-Auftritten ihre Lieder, was die alten Kollegen erzürnt.
Fritz Egner: „Seine Soloplatten waren ihm sehr wichtig. Mir hat er gesagt: „Wenn ich allein im Studio bin mit Musikern, mit denen ich sonst nicht gar nicht zusammenarbeite, dann wird es für mich erst richtig spannend. Denn dann kann ich fünf oder zehn Saxofonisten ausprobieren und wähle mir dann einen aus, ohne, dass mir irgendjemand reinredet.“ Immer weiterentfernt sich Jagger von den Stones. Die Band sei ihm wie ein Mühlstein um den Hals, sagt er. Der Tiefpunkt ist erreicht, als Jagger zu Richards sagt, er sei größer als die Stones. Keith Richards: „Das hat mich mit der Zeit richtig wütend gemacht. Wir nannten das den ‚Dritten Weltkrieg‘. Du betrügst die Band! Du kannst mich betrügen, aber nicht die Band!“ Die Stones stehen kurz vor dem Ende. Bei einem Geheimtreffen auf Barbados 1988 geben sie sich eine letzte Chance. Die Versöhnung glückt. Jagger kehrt in den Schoß der Familie zurück, wie er es nennt.
Fritz Egner: „Dann war eben diese Leidenschaft für die Musik, die sie verbunden hat, auf magische Art vielleicht. Und dann haben sie sich doch immer wieder zusammengerauft. Obwohl ich glaube, dass Keith da immer bisschen klein beigegeben hat, damit Mick auch wieder seine dominante Rolle ausspielen konnte.“ Und noch was verhindert das Ende der Band: Geld. Längst sind die Stones eine hochprofitable Marke, auf die die Musiker ungern verzichten. Jagger managt die Stones und baut sie zu einem regelrechten Unternehmen aus. Der einstige Bürgerschreck entpuppt sich als kluger Geschäftsmann. Die Kassen klingeln. Mit einem geschätzten Vermögen von mehreren Hundert Millionen Pfund gehört Mick Jagger zu den reichsten Musikern der Welt. Auch wenn er den Profit relativiert. Mick Jagger: „Geld ist nicht der Anreiz zu spielen. Die Idee hinter den Rolling Stones war nie, schnell reich zu werden. Tatsächlich hat es schrecklich lange gedauert, bis wir reich waren. Über zehn Jahre.“
Gewaltige Welttourneen brechen ab den 90ern immer neue Umsatzrekorde. Kritiker werfen Jagger vor, sich dem Kommerz zu opfern und die alten Erfolge nur zu verwalten. Doch für den Sänger ist Musik nicht nur Leidenschaft, sondern seit Langem auch hartes Business. Philip Norman: „Die Leute denken, dass es für Jagger hinter der Bühne nur Sex, Drogen und Rock'n'Roll gibt. Tatsächlich trainiert er vor den Auftritten und macht Liegestütze.“ Viel Sport, kaum Alkohol, gesunde Ernährung - das hält fit. Jagger gilt als Disziplin-Freak. Aus dem Frontmann der einst härtesten Band der Welt wird der Chef einer der ältesten Bands der Welt. Funktioniert das Image des Rebellen trotzdem noch? Dr. Bodo Mrozek: „Rockmusik ist heute ein legitimer Ausdruck einer Populär-Kultur, die längst alle Generationen umfasst hat und sogar ihre Haupt-Fan-Basis bei den älteren Menschen hat. Und darum ist Jagger dann auch keine notwendig lächerliche Figur, sondern er macht das, was er immer gemacht hat. Und diese Musik ist auch im Zentrum der Gesellschaft angekommen.“
12. Dezember 2003. Jagger kommt ganz oben an. Für seine Verdienste in der Popmusik wird er zum Ritter geschlagen. Für viele Briten eine umstrittene Wahl. Auch manche Fans sind enttäuscht. Aufnahmen von seinem Kniefall vor den Royals hat Jagger verboten. Prinz Charles vollzieht die Zeremonie. Die Queen lässt sich entschuldigen. Der einstige Vorzeige-Rebell ist jetzt Sir Michael. Der frisch geschlagene Ritter mit Vater und zwei Töchtern. Wie fand er die Zeremonie? Mick Jagger: „Wunderbar! Es war wunderbar formell und es gab großartige Outfits. Leute aus dem ganzen Land waren da, aus allen Schichten, vom Historiker bis zum Imker. Das war ziemlich großartig.“ Keith Richards ‚is not amused‘. Für ihn ist der Ritterschlag ein Verrat an allem, wofür die Stones je standen. Mick Jagger: „Er ist wie ein heulendes Kind, das kein Eis bekommen hat. Ich glaube nicht, dass das alte Establishment noch wirklich existiert.“ Formal ist er nun Teil des Adels. Doch gehört er wirklich dazu? Philip Norman: „Es gibt das britische Wort ‚naff‘, das ihm anhängt. Als er Prince Charles die Hand geschüttelt hat, behielt er eine Hand in der Tasche. Dafür steht ‚naff‘. Das ist stillos.“
Jagger scheint das nicht zu kümmern. Er geht seinen Weg unbeirrt weiter. Mit 18 trat er erstmals als Stones-Sänger auf. Mit über 75 Jahren steht er immer noch mit ihnen auf der Bühne. Warum dieser Stress im Rentenalter? Philip Norman: „Weil das größte Rauschgift der Welt Applaus ist. Du kannst ohne es nicht leben, wenn du es seit deinem 19. Lebensjahr praktisch jeden Tag gespritzt bekommen hast. Es ist die stärkste Droge der Welt.“
Anita Harris: „Er hat etwas, das Stars ausmacht, was Menschen magisch anzieht, wie Motten zum Licht. Er hat einfach dieses gewisse Etwas.“ Mick Jagger: „Ja ... Ich wollte unseren Erfolg nie so genau analysieren. Das ist nicht mein Job. Mein Job ist es, dort auf die Bühne zu gehen und Mick Jagger zu sein.“ Ritter, Rocker und angeblicher Rebell. Den einen Mick Jagger gibt es wohl nicht. Vielleicht macht ihn genau das so erfolgreich. Seit fast sechs Jahrzehnten. — © ZDF, 2021.